Die aktuelle Predigt

33. Sonntag im Jahreskreis – B: Mk 13,24-32

(Linz − Ursulinenkirche, 17. XI. 2024)

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Apokalyptische Endzeit-Szenarien haben gerade wieder Konjunktur – v.a. vor dem Hinter­grund der aktuellen Weltklima-Konferenz in Baku, die nicht viel Gutes erwarten lässt. Wie denn auch, wenn der designierte Präsident der immer noch größten Wirtschaftsmacht der Welt gleichzeitig ankündigt, auf die wichtigsten internationalen Abkommen zum Klimaschutz pfeifen zu wollen? Ich bin in den letzten Wochen durch Nord-Griechenland gewandert, eine Gegend, in der Auswirkungen des Klimawandels für viele Menschen bereits existenzbedro­hend werden: Monate lang andauernde Trockenheit, Sommerhitze jenseits der 45°-Marke, riesige Wald- und Plantagengebiete durch Feuer zerstört, der Ertrag der Olivenernte auf ein Drittel eingebrochen, die heurige Muschelernte zu 90, die für das kommende Jahr zu 100% im überhitzten Meer vernichtet. Werden Teile des europäischen Mittelmeerraums allmählich zur Wüste? Freilich darf von der naturwissenschaftlich begründeten Annahme ausgegangen werden, dass unser Universum noch lange nicht untergehen wird. Aber realistisch ist, dass es irgendwann einmal ohne menschliche Zivilisation weiterbestehen wird. – Letztlich sind Prophezeiungen über den Untergang der Welt oder zumindest der Menschheit aber nichts Neues. Sie begleiten die Zivilisation vermutlich schon seit ihren Anfängen.

Und sie finden sich auch in unserer Bibel. Peinlich nur, dass sie – wörtlich genommen – längst überholt sind (etwa die Ansage, die zum Zeitpunkt der Abfassung lebende Generation würde den Untergang der Welt noch erleben). Aber genau diese wörtliche Lesart – gar noch verbunden mit einem naturwissenschaftlichen Exaktheitsanspruch – ist den biblischen Schriften ohnehin nicht angemessen. Diese Lesart liegt auch gar nicht in der Intention der biblischen Autoren. Wie sonst auch dürfte sie das Schicksal des Universums weniger interessieren als die menschliche Lebenspraxis. Und dafür lassen sich aus der biblischen Apokalyptik zumindest 3 Aussagen gewinnen: 1. Leben ist endlich. – 2. Leben ist einmalig. – 3. Leben ist sinnorientiert.

Ad 1: Die Knappheit bzw. Endlichkeit eines Gutes – so lehrt es auch die Ökonomie – ist ein zentraler Faktor seines Wertes. Für das, was grenzenlos verfügbar ist, gibt es weder Markt noch Preis. Wert hat dagegen, was begrenzt ist. Wert hat, was ein Ende kennt. Das gilt auch für unser Leben: Weil es endlich ist, gewinnen unser Denken, Tun und Lassen Bedeutung und wird eine Bewertung des Lebens möglich. – Doch Vorsicht! Die Logik der Öko­nomie ermöglicht immer nur eine relative Bewertung von Gütern im Vergleich zu anderen.

Damit kommen wir zu 2.: Die biblische Apokalyptik schreibt dem menschlichen Leben einen absoluten Wert und Anspruch zu: Jedes menschliche Leben ist einmalig und einzigartig vor Gott. Die Nicht-Wiederholbarkeit des Lebens entreißt menschliches Denken, Tun und Lassen der Beliebigkeit, verleiht ihm unumkehrbare Gültigkeit und absolute Bedeutung. Jedes Wort, jede Geste, jede Tat ist wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil oder – wenn Sie so wollen – wie ein Eintrag im Internet: einmal veröffentlicht kann es nicht mehr zurückgenommen oder gelöscht werden; alles kann vielleicht verborgen, vergessen oder auch vergeben werden, aber keinesfalls mehr ungeschehen gemacht. Damit gewinnt jeder Augenblick unseres Lebens Bedeutung und wird zur ergriffenen oder vertanen Chance.

Diese Vorstellung kann ungeheuren Druck erzeugen – den Druck, alle sich nur bietenden Lebensmöglichkeiten maximal auszureizen und auszukosten. Dagegen steht die 3. Bestimmung des biblischen Menschenbildes: Leben ist zielgerichtet, will sagen: Es ist nicht egal, wofür ein Mensch lebt. Der Mensch ist kein Schmetterling, der ziellos und von gerade sich bietenden Möglichkeiten gesteuert durchs Leben taumelt. Menschliches Leben steht vielmehr unter dem Anspruch eines Lebenssinns. Diesen zu finden und zu realisieren, macht Leben erst menschlich und unterscheidet es von einem bloßen Vegetieren. Den je eigenen Lebenssinn zu finden und zu realisieren, bleibt jedem Menschen lebenslang und unvertretbar aufgegeben. Ein weiser Mensch hat dafür ein Kriterium formuliert: Nur dafür lohnt es sich zu leben, wofür es sich im Ernstfall auch zu sterben lohnt.

Die Botschaft des Evangeliums macht zur Beantwortung der menschlichen Sinnfrage immerhin ein Angebot, zusammengefasst im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Aber wie ein Mensch das oder eine andere Antwort auf die Sinnfrage realisiert, das bleibt ihm aufgegeben in der Einmaligkeit und Einzigartigkeit menschlichen Lebens.

Das zu erinnern, ist wohl das eigentliche Anliegen biblischer Apokalyptik, also der Rede von Weltende bzw. -untergang und jüngstem Gericht. Vielleicht klingt das alles in seiner Unerbittlichkeit jetzt beängstigend und allzu belastend. Zur Wiedererlangung einer dem biblischen Glauben gut anstehenden Leichtigkeit deshalb noch zwei Sätze mit auf den Weg:

  1. Martin Luther soll auf die Frage, was er tun würde, wenn er erführe, dass am nächsten Tag die Welt unterginge, geantwortet haben: „ein Apfelbäumchen pflanzen“. Es ist nicht sicher, ob die Antwort wirklich von Luther stammt. Gut ist sie allemal.
  2. In Kol 3 schreibt der Apostel Paulus: „… euer Leben ist mit Christus ver-borgen in Gott.“ Ich bin überzeugt, dass es auch in Gott ge-borgen ist.


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Die Wahrheit ist
dem Menschen zumutbar.

(Ingeborg Bachmann)
 
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